Thought Leadership

Von DC Mitglied Kisten Freundl*
Auf der einen Seite hören wir: Der Mensch ist Gestalter, der aus der Erde Ton formt. Er kann die Welt verändern, er kann handeln. Auf der anderen Seite: Wir leben in einer Datenwüste. Überall Informationen, überall kleine Strukturen, überall Daten – so viele, dass wir sie nicht mehr filtern können. Unsicherheit, Überforderung, Ratlosigkeit. Genau das sind die Themen, die heute wirklich wichtig sind.
Die VUCA-Welt – und was schieflläuft
Ich möchte über die VUCA-Welt sprechen. Viele sagen: ein alter Hut. Aber das ist es nicht. Denn was in der VUCA-Welt schiefläuft, hat Konsequenzen. VUCA steht für Volatility (Volatilität), Uncertainty (Unsicherheit), Complexity (Komplexität) und Ambiguity (Mehrdeutigkeit). Das Konzept kommt aus den 1980er Jahren, ursprünglich militärisch gedacht, als Versuch, sich in einer unübersichtlichen Welt zu orientieren.
Wie gehen wir mit Volatilität um? Wie begegnen wir Unsicherheit? Wie steuern wir durch Komplexität? Wie viel Ambiguitäts-Toleranz haben wir?
Die Entwicklung überholt uns
Wenn ich an meine eigene Zeit als Studentin denke – ich hatte damals einen Compaq-Computer. Der war schwer, aber ich war stolz, ihn zu besitzen. Heute hat jedes Smartphone ein Vielfaches an Rechenleistung. Die technologische Entwicklung rast. Meine Eltern – heute um die 80 – erleben, dass „das Ding“ uns eigentlich überholt. Es passiert so viel, so schnell – und wir können es nicht mehr managen. Warum? Weil wir als Menschen nicht hinterherkommen. Wir sind als Menschen noch nicht so weit.
Uns fehlt heute Gestaltungsfähigkeit, weil wir nicht wissen, wo wir überhaupt noch hingreifen können. Wo setzen wir an? Fakten, politische Entscheidungen – das wechselt radikal schnell, die Verlässlichkeit ist verloren gegangen. Die Welt ist so komplex geworden, dass wir keine Grundlage mehr haben, um schnelle Entscheidungen zu treffen. Die haben wir nicht mehr. Die Grundlage ist weg.
Informationsreichtum – Aufmerksamkeitsarmut
Helmut Singer hat es einmal sehr treffend formuliert:
Informationsreichtum birgt immer Aufmerksamkeitsarmut in sich.
Genau das passiert mit uns: Wir haben unendlich viele Informationen – und wissen nicht mehr, wo wir hinschauen sollen. Was ist wichtig? Was ist richtig? Was ist falsch? Was nützt uns? Was ist nur Lärm?
Es gibt nicht mehr das „richtig gut“ oder „richtig schlecht“. Eindeutigkeit ist verloren. Und was dann passiert? Dann schlägt das BANI-Konzept zu.
Die BANI-Welt: brutal, ängstlich, nicht-linear, unverständlich
BANI steht für: Brutal, Anxious (ängstlich), Non-Linear (nicht-linear), Incomprehensible (unverständlich).
Das ist der Zustand, in dem sich Menschen heute wiederfinden. Die Systeme auch. Wir sind überfordert. Wir sind verunsichert. Wir wissen nicht mehr, was passiert, wenn wir etwas sagen – besonders in den sozialen Netzwerken. Eine Bemerkung kann Wellen schlagen, die niemand mehr kontrollieren kann. Die Welt ist nicht-linear geworden. Ursache und Wirkung sind entkoppelt. Wir wissen nicht mehr, was wozu führt.
Die Angst, sich zu entscheiden
Das zeigt sich überall – bei Studierenden, bei Führungskräften, bei ganzen Organisationen. Junge Menschen sagen heute oft:
„Wir entscheiden nichts. Wir haben Angst, dass wir morgen neue Chancen bekommen, die wir dann verpassen.“
Sie sehen den „Wühltisch“ an Informationen. Sie haben Angst, sich für etwas zu entscheiden – weil morgen eine bessere Option kommen könnte. Diese Angst lähmt. Sie lähmt nicht nur die Jungen. Sie lähmt uns alle.
Spröde Systeme und Überforderung
Unsere Systeme sind alt, sie sind spröde. In Unternehmen erleben wir es täglich: Fachkräftemangel, Burnout, Überforderung. Ein Unternehmen sagt: „Wir können niemanden einstellen, wir müssen erst mal konsolidieren.“ Doch das führt zu Dominoeffekten: Wenn ein Mitarbeiter ausfällt, sind die anderen sofort überlastet. Das ganze System kippt – es ist auf Kante genäht.
Die Menschen ziehen sich zurück. Viele sind nicht einfach „gemütlich“, sie sind ängstlich. Sie wissen nicht mehr, was richtig und was falsch ist. Und sie wissen nicht mehr, was ihre Entscheidung auslösen wird. Es ist unverständlich geworden. Wir haben keine Klarheit mehr.
Rückgrat statt Korsett
Was uns fehlt, ist das Rückgrat. Viele Menschen stecken in einem Korsett aus Erwartungen, Regeln, Ängsten. Wir holen uns Halt von außen – aber nicht aus uns selbst.
Wir brauchen den Mut, zu entscheiden. Den Mut, auch falsche Entscheidungen in Kauf zu nehmen. Den Mut, alte Strukturen abzuschneiden. Auch ohne Sicherheit, auch ohne zu wissen, was die Zukunft bringt. Das ist echte Gestaltung.
Die psychologischen Grundbedürfnisse: Was uns wirklich antreibt
Was brauchen wir Menschen? Drei Dinge – das ist psychologisch unumstritten:
1. Bindung: Wir brauchen Beziehungen, echte Verbindungen.
2. Kompetenz: Wir wollen spüren, dass wir etwas bewirken können.
3. Autonomie: Wir wollen selbst entscheiden.
Diese Bedürfnisse sind nicht verhandelbar. Sie gelten für alle. Auch für die Generation Z.
Bindung ist die Basis. Ohne Bindung funktioniert nichts. Und Autonomie heißt nicht Egoismus. Es geht darum, dass wir – im Verbund mit anderen – Entscheidungen treffen. Mit Respekt, mit Wohlwollen, mit Blick auf uns selbst und auf unser Umfeld.
Mut zur Transformation
Das bedeutet: Wir müssen uns trauen, uns aus unseren Systemen herauszubewegen. Kunst kann dabei helfen. Künstler arbeiten oft jahrelang, ohne zu wissen, ob ihr Werk Erfolg haben wird. Sie tragen Risiken, bleiben dran, weil sie an das glauben, was sie tun. Das ist eine Haltung, die wir brauchen: Mut zur Unsicherheit, Mut zum Risiko.
Transformation ist kein Ziel. Transformation ist ein Weg. Und wer sich auf diesen Weg begibt, muss mutig sein.
Vielleicht sind wir der Flügelschlag eines Schmetterlings. Vielleicht ist es unser Lächeln, unsere erste kleine Entscheidung, die eine positive Kette in Gang setzt. Vielleicht ist es genau das, was wir jetzt brauchen, um Politik, Wirtschaft und Gesellschaft wieder zusammenzubringen.
Transformation beginnt mit uns.
* Kirsten Freundl ist Beraterin, Trainerin und Coach im oberen Management sowie im Train-the-Trainer Bereich. Sie begleitet unter anderem Führungsteams in Veränderungen – sowohl im Changemanagement wie auch unter dem Aspekt der Resilienz in Teams. Des Weiteren ist sie als Lehrbeauftragte für Kommunikation & Rhetorik, Selbst-& Stressmanagement sowie Personal Change tätig. Ihre Themen: Positive Leadership, Teamdynamik, Changemanagement & Kommunikation, Strategieentwicklung & Kaskadierung, Organisationsentwicklung, Mentale Balance & Resilienz.